Rien ne va plus

Anfang April 1976 wurde ich im Rahmen meiner Ausbildung als Polizeivollzugsbeamter des Landes NRW nach Düsseldorf umgesetzt.

Als junger Polizeioberwachtmeister im Einzeldienst, so lautete damals der Dienstrang, war ich hauptsächlich im Rahmen des damals stattfindenden „Stockholm-Prozesses“ auf der Tannenstraße in Düsseldorf-Derendorf eingesetzt.

Fielen die Prozesstage aus, oder waren die dienstlichen Zeitenrahmen nicht erfüllt, wurden die dort tätigen POW auch anderweitig eingesetzt. So konnten wir auch in den 4 Schutzbereichen des PP Düsseldorf Verwendung finden. So kam es dann auch zu einem Einsatz am 15.05.1976 aufgrund des Bundesligaspiels Fortuna Düsseldorf/Borussia Mönchengladbach im Düsseldorfer Rheinstadion. Es war ein Samstag, das Spiel begann um 15.30 Uhr.

Vorher gab es um 13.00 Uhr im Schutzbereich 2 auf der Kaiserswerther Straße 132 eine Dienstbesprechung. Im Rahmen der Besprechung erfuhren wir wichtige Internas und wurden in unseren Aufgabenbereichen eingewiesen. Ich sollte zunächst als dritter Mann zusammen mit dem Einsatzleiter Wierich und einem anderen Kollegen mitfahren.
Diese Fahrt dauerte ungefähr eine Stunde als der Leiter des Verkehrseinsatzes, POK Zielke mitteilte, dass es zu einem massiven Verkehrsaufkommen im Bereich des Freiligrathplatzes gekommen sei.
Der Einsatzleiter Wierich entschied ad hoc weitere Kräfte dorthin zu senden. Darüber hinaus fuhr er auch zum Brennpunkt und gab mir die Order: „Unterstützen Sie den Kollegen Bittner am Freiligrathplatz!“
Der Freiligrathplatz war ein sehr großer Kreisverkehr, der damals noch durch Ampeln geregelt war. Bei Fußball-Messeeinsätzen waren diese Ampeln ausgeschaltet. Damals gab es nur eine Straßenbahnverbindung zwischen Düsseldorf und Duisburg, die seitlich am Freiligrathplatz vorbeiführte. Und genau da stand der Kollege Bittner um die Passagiere der Straßenbahn sicher über den Kreisverkehr in Richtung Beckbuschstraße zu führen.
Ich näherte mich dem Kollegen, ging auf ihn zu und teilte ihm mit, dass ich den Auftrag hätte ihn zu unterstützen. Der Kollege, ein sehr drahtiger und durchtrainierter, nicht sehr großer junger Mann schaute mich durchdringend an und sagte:“ Ich brauche keine Unterstützung!“
Ups, das saß…
Ich stellte mich einfach neben ihn hin und schaute zu, was er so machte.
Gerade kam eine Bahn aus Richtung Düsseldorf in Fahrtrichtung Duisburg an. Es mussten um die 200 Fortuna-Fans gewesen sein, die vom Bahnsteig aus über den Freiligrathplatz zur Beckbuschstraße wollten, um so ins Rheinstadion zu gelangen. Der Kollege Bittner stellte sich ihnen entgegen. Zu meiner Verwunderung blieben sie auch alle stehen und gingen erst nach seiner Aufforderung über die Fußgängerfurt Freiligrathplatz/Niederrheinstraße in Richtung Beckbuschstraße. Die Fahrzeuge, die sich im Kreisverkehr befanden, hatte der Kollege Bittner zuvor gestoppt. Natürlich kamen so nicht alle Fußgänger auf einmal über den Kreisverkehr.
„Rien ne va plus, nichts geht mehr“ tönte der Kollege und alle Fußgänger hielten an.

Ich war mehr als nur erstaunt, wie er das so machte und damit evident auch sehr erfolgreich agierte.
Er setzte noch einen drauf…Um die wartenden Fans zu beruhigen fragte er sie, ob sie einen Düsseldorfer Radschläger kennen würden. Es wurde verneint.
Er sagte: „Ich schon“ und fing an mehrere Radschläge zu machen. Es gab großen Applaus, denn das sah alles sehr professionell aus.
„Siehst Du, ich brauche keine Unterstützung“ sagte er zu mir. „Aber, da Du schon mal hier bist, hast Du sicherlich was gelernt!“

Und das hatte ich in der Tat.
Nachher im Stadion saßen wir nebeneinander und genossen das Spiel.
Henning Jensen erzielte das 0:1; Dieter Brei holte in der 44.Minute den Ausgleich.
Endstand 1:1.

Lemmy Bittner und ich sind dann in der Folge sehr gute Freunde geworden.
Und das hält bis heute an!

Doch davon später mehr…



© Manfred Wrobel